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Steinstossen Unspunnenstein ESAF


Die Geschichte des Ursports

Vom Urprung zum Leistungssprung

Traditionssport

Historische Aufzeichnungen belegen, dass das Steinstossen zu den ältesten Sportarten der Menschheit zählt. Bereits vor rund zwei Millionen Jahren nutzten Urmenschen Steine als Waffen – sowohl zur Jagd als auch zur Verteidigung. Aus diesem praktischen Gebrauch entwickelte sich im Laufe der Jahrtausende der Steinwurf beziehungsweise das Steinstossen: zunächst aus dem Zweck der Lebenserhaltung, später als Form der körperlichen Betätigung und des Wettkampfs.

In Griechenland ist bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. sportliches Steinstossen bezeugt – mit einem Stein von beeindruckenden 143,5 Kilogramm Gewicht. Im Mittelalter (ca. 500–1500 n. Chr.) galt das Steinstossen sowohl unter jungen Rittern als auch im einfachen Volk als beliebte Kraftprobe. Schon damals wurden unterschiedliche Techniken angewendet – sowohl aus dem Stand als auch mit Anlauf.

In der Schweiz lässt sich der Ursprung des Steinstossens bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Einer Überlieferung zufolge nahm damals ein Burggraf in Basel an einem Steinstosswettkampf teil. Gesichert ist, dass die alten Eidgenossen den Stein nicht nur zu sportlichen Zwecken verwendeten, sondern ihn auch in den Schlachten von Morgarten (1315), Laupen (1339) und Näfels (1388) als Waffe einsetzten.

Als Ursprungsregionen des sportlichen Steinstossens gelten Schwyz und das Appenzellerland. Erstaunlicherweise gehörte der Wettkampf bereits zu den Disziplinen der Eidgenössischen Schützenfeste in den Jahren 1456, 1471 und 1504, bei denen Steine von 15, 30 und 50 Pfund zum Einsatz kamen.

Schwingen und Steinstossen

Im 19. Jahrhundert gingen die Schwinger und Nationalturner mit dem Steinstossen getrennte Wege. Der Ursprung des Steinstossens zusammen mit dem Schwingen ist das Alphirtenfest 1805 bei der Burgruine Unspunnen in Interlaken. Weil der ursprüngliche 184-Pfund-Stein nicht mehr auffindbar war, kam 1808 der noch heute gestossene 167-Pfund-Stein zum Einsatz. Mehr über den Unspunnenstein erfährst du hier.

Die Nationalturner hingegen setzten bereits vor beinahe 200 Jahren deutlich leichtere Steine ein. Bis 2025 war der 40 Kilogramm schwere Muotastein das schwerste Wettkampfgewicht an Schweizer Meisterschaften. An der Schweizer Meisterschaft 2025 in Reichenbach wurde das erste mal mit dem 73kg schweren ENV-Stein gestossen. Urs Hutmacher (aus dessen Sammlung auch der Stein hervorging) gewann den ersten Wettkampf.

Bei den Eidgenössischen Schwingfesten haben sich zwei zunächst Varianten etabliert: der rundliche, 83,5 Kilogramm schwere Unspunnenstein, der mit Anlauf gestossen wird, sowie der quaderförmige 40-Kilogramm-Stein, der aus dem Stand gestossen wird. Die Konkurrenz mit dem 20-Kilogramm-Stein fand dagegen nur unregelmässig statt. Nach einer langen Pause seit 1937 gehört diese kleine Disziplin aber seit 2004 wieder fest zum Programm.

Unspunnenstein als Königsdisziplin

Seit über 200 Jahren geniesst der Wettkampf mit dem Unspunnenstein die grösste Aufmerksamkeit im Steinstossen. Bereits 1805 soll Josef Dörig aus dem appenzellischen Schwendi den 92 Kilogramm schweren Ur-Unspunnenstein beidhändig über den Kopf zehn Fuss (rund drei Meter) weit gestossen haben. Noch vor der Gründung des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) traten Schwyzer Spitzenstösser in Erscheinung, darunter die Muotathaler Martin Schelbert und Alois Ulrich sowie das Morschacher Gebrüdertrio Styger.

Auch nach der ESV-Gründung blieb der Kanton Schwyz eine Hochburg des Steinstossens. So triumphierten an Eidgenössischen Festen die Ingenbohler Brüder Franz und Xaver Betschart sowie ihr Cousin Martin Betschart, der 1911 in Zürich alle drei Kategorien für sich entschied. Kaspar Reichlin aus Schwyz setzte 1934 mit einer Weite von 2,60 Metern einen neuen Rekord.

Erstaunlicherweise blieb die Bestmarke mit dem 83,5 Kilogramm schweren Unspunnenstein lange unter der Drei-Meter-Marke – obwohl die Gasterländer Sepp Rüegg (Kaltbrunn) und Alois Egli (Schänis) ab 1961 die beidhändige Technik mit dem Stein über dem Kopf durchsetzten. Zuvor war meist die Schultertechnik üblich gewesen. Alois Egli bleibt bis heute der einzige Steinstösser, der zwischen 1961 und 1969 vier Siege an Eidgenössischen Festen mit dem Unspunnenstein erringen konnte.

In den Jahren 1976/77 folgte eine Leistungssteigerung: Josef Küttel gewann sowohl am Unspunnenschwinget als auch in Basel mit einer Weite von jeweils 3,40 Metern. 1981 siegte der Vitznauer erneut – diesmal mit 3,61 Metern. Zwischen 1983 und 1989 dominierte Josef Ambauen aus Beckenried drei Eidgenössische Wettkämpfe, seine Bestweite (und am 1989 neuer Rekord) betrug 3,77 Meter.

Der nächste Rekordstösser war Ernst Frieden aus Langnau am Albis, der am Eidgenössischen in Olten mit 3,93 Metern eine neue Bestmarke setzte.Ihn löste 1998 Roland Stählin mit 3,97 Metern ab. Den nächsten Höhepunkt erreichte Markus Maire aus Plaffeien: 2004 in Luzern stiess er den Unspunnenstein auf 4,11 Meter. Am 30. August 2025 stiess Urs Hutmacher den Unspunnenstein in der Qualifikation für den Arenafinal am ESAF in Mollis auf 4,16 Meter. Er verbesserte damit nach 21-jährigem Bestand den Rekord von Maire um fünf Zentimeter.

Leistungssteigerung in den 2020er Jahren

In den 2020er Jahren sind die sportlichen Leistungen gleichsam explodiert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist Urs Hutmachers Rekord mit dem Unspunnenstein (4,16 m) am ESAF 2025 – ein klares Symbol für das gestiegene Leistungsniveau. Hutmachers Rekord ist der Lohn für jahrelange Professionalität und akribische Vorbereitung: Bei seinem ersten ESAF 2013 belegte er noch den 33. Rang – 2025 steht er an der Spitze. Dass gleich drei Stösse jenseits der 4-Meter-Marke 2025 in Mollis fielen, ist historisch: In den 220 Jahren zuvor gab es nur einen einzigen – Markus Maire mit 4,11 m am ESAF 2004 in Luzern.

Auch beim 20-kg-Stein setzte eine bemerkenswerte Entwicklung ein. Der Fricktaler Universalsteinstösser Simon Hunziker stellte 2019 in Zug mit 9,24 m einen neuen Rekord auf. Drei Jahre später wurde er von Urs Hutmacher am ESAF 2022 in Pratteln abgelöst: Der Zürcher Oberländer jubelte über die neue Bestweite von 9,64 m. Seit der Wiedereinführung des leichten Steins im Jahr 2004 ist der Rekord damit um mehr als einen Meter gestiegen.

Das Jahr 2025 sorgte auch mit dem 40-kg-Stein für einen Höhepunkt: Hutmacher übertraf den seit über einem Vierteljahrhundert bestehenden Rekord von 4,96 m, den Roland Stählin 1995 aufgestellt hatte, und stiess auf 5,06 m. Seine Leistung ist umso beeindruckender, als Stählin mit diesem Stein eine Ära prägte – von 1995 bis 2010 gewann er sechsmal in Folge. Eine solche Serie ist bislang keinem anderen Stösser gelungen – auch nicht dem ehemaligen deutschen Spitzenkugelstösser Andreas Deuschle, der sich bei seinen beiden Siegen 2016 und 2019 mit deutlich geringeren Weiten begnügen musste.

Der Leistungsschub im Steinstossen zeigt sich längst nicht nur an den neuen Rekorden, sondern in der gesamten Breite der Spitze. Während Peter Michel am ESAF 2010 mit 3,69 m noch den Titel verteidigte und 3,47 m für den zweiten Platz reichten, stiessen am ESAF 2025 gleich zwölf Athleten auf diese Weite oder weiter. Auch das Mittelfeld hat enorm zugelegt: 2010 reichten 3,14 m noch für Rang acht – in Mollis erreichten rund zwanzig Stösser diese Marke. Die Leistungen, die vor fünfzehn Jahren noch Ausnahmen waren, sind in den 2020er Jahren zur neuen Normalität geworden.